Deutschland auf dem Weg zum Nationalstaat

Liberale und nationale Kräfte wollen in vielen Ländern Europas die Fremdherrschaft der Großmächte abschütteln und kämpfen für Menschen- und Bürgerrechte. Das geistige Fundament bilden die Werke der Aufklärung. Gefordert wird Selbstbestimmung statt blinder politischer Unterwerfung. Wo die alten ständischen Bindungen zerbrechen, verspricht die Nation jetzt Größe, Wohlstand und Heimat. Doch die absolutistischen Herrscher wollen die Ordnung, die im Wiener Kongress von 1815 beschlossen wurde, erhalten. Die revolutionären Bestrebungen, die ausgehend von der Julirevolution in Frankreich 1830 große Teile Europas erfassen, werden zum Teil brutal niedergeschlagen. Doch sie haben auch Erfolg: In Deutschland verabschieden etliche Staaten vergleichsweise liberale Verfassungen mit weitreichenden Grundrechten.

Nach dem Sieg über Napoleon wird Europa auf dem Wiener Kongress neu geordnet. Mit der „Restauration“, der Wiederherstellung der alten Verhältnisse, soll die friedliche Zukunft Europas gesichert werden. Doch besonders unter Studenten finden neue, revolutionäre Ideen – von einer geeinten Nation, die vom Volk und nicht von einem Monarchen regiert wird – Anklang. Hunderte von ihnen versammeln sich 1817 auf dem Wartburgfest zur ersten nationalen Kundgebung auf deutschem Boden. Die Farben Schwarz-Rot-Gold werden zum Symbol der freiheitlich-nationalistischen Bewegung. Doch die Regierungen antworten mit Repressionen: Politische Versammlungen werden verboten, die Pressezensur verschärft. Alle die dagegen verstoßen, müssen mit Konsequenzen rechnen. So auch Georg Büchner, der für seine Flugschrift „Der Hessische Landbote“ steckbrieflich gesucht wird.

Im Februar 1848 bricht in Paris erneut eine Revolution aus, die rasch auch auf Deutschland übergreift. Vor allem Liberale und Demokraten fordern jetzt umfangreiche politische Mitbestimmung. Neue Medien verbreiten massenhaft ihre „Märzforderungen“ nach Versammlungsfreiheit, der Herstellung eines deutschen Parlaments und der Schaffung eines Nationalstaates. In Frankfurt soll dieser Traum wahr werden. In der Paulskirche kommt am 18. Mai die erste deutsche Nationalversammlung zusammen. Doch die Gegenrevolution siegt. Die Revolution wird niedergeschlagen und das Paulskirchenparlament wieder aufgelöst. Viele Liberale und Nationalisten werden hingerichtet, Tausende wandern aus. Ihre Ideen allerdings bestehen fort.

Der Traum von Einheit und Freiheit ist 1849 ausgeträumt. Erst 10 Jahre später kommt wieder Schwung in die nationale Frage. Die wirtschaftliche Aufholjagd und das Machtstreben Preußens ebnen den Weg zur Einheit Deutschlands. Prägendste Figur ist dabei Otto von Bismarck. Um die Machtposition seines Landes ausbauen, will der preußische Ministerpräsident möglichst viele deutsche Staaten unter preußischer Herrschaft sehen. In drei sogenannten Einigungskriegen – 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und 1870 gegen Frankreich – weitet Preußen seine Macht über die deutschen Staaten schließlich aus. Mit der Reichsgründung 1871 wird ein preußisch dominierter Nationalstaat geschaffen, dessen erster Kaiser Preußens König Wilhelm I. ist.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erringt England durch die Industrielle Revolution einen riesigen wirtschaftlichen Vorsprung vor dem Kontinent. Auch die deutschen Staaten, allen voran Preußen, wollen den Zug in die industrielle Moderne nicht verpassen – und die Politik begünstigt den Technologietransfer von Großbritannien mit allen Mitteln: Es werden Ideen geklaut, Spezialisten abgeworben und, trotz hoher Strafen, Maschinen ausgeführt. Eine Aufholjagd beginnt. Die Eisenbahn wird bald zum entscheidenden Motor der Industrialisierung und viele Unternehmer – vor allem aus den Bereichen Kohle, Eisen und Stahl – werden zu reichen Männern. Ein Beispiel dafür ist Alfred Krupp. Der Essener Unternehmer schafft es aus bescheidenen Verhältnissen zum größten Stahlproduzent Europas aufzusteigen.

Die beiden WissenschaftlerInnen Prof. Dr. Ute Planert oder Prof Dr. Christian Jansen äußern sich in diesem Interviewmodul zu ausgewählten Themenschwerpunkten der DVD. So können Schülerinnen und Schüler Gelerntes weiter vertiefen und im Unterricht kontrovers diskutieren. Erläutert werden unter anderem die „zwei Gesichter des Nationalismus“ (das Zusammengehörigkeit schaffende und das ausgrenzende) und warum mit der Gründung eines Nationalstaates der Aspekt der Ethnie zentral wird. Auch der Frage, wie zutreffend die Bezeichnung Deutschlands als „verspätete Nation“ ist, wird nachgegangen.

In diesem Modul werden historische Texte aus dem 19. Jahrhundert zum Thema Nationalismus und Einigungsbewegung in Deutschland von professionellen Sprechern rezitiert. Sie stammen von Autoren wie Ernst Moritz Arndt, Georg Büchner, Heinrich Heine, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Robert Blum sowie der Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters.