Die Deutsche Frage IV

Mehr als vier Jahrzehnte prägt der Ost-West-Konflikt die Weltpolitik. Sein Ende wird ab 1985 durch den reformpolitischen Kurs des neuen sowjetischen Regierungschefs Michail Gorbatschow eingeleitet. Dieser erlaubt den Ostblockstaaten, ihr politisches und soziales System fortan selbst zu bestimmen. In Ungarn und Polen gibt es nun öffentliche Debatten über freie Wahlen – anders in der DDR. Dort beharrt die Staatsführung unter Erich Honecker auf ihrem strengen politischen Kurs. Doch immer mehr Bürger gehen dagegen auf die Straße, fordern demokratische Veränderungen und Reisefreiheit. Am 9. November 1989 fällt schließlich die Berliner Mauer. Seit 1961 hatte sie die politische Spaltung Deutschlands und Europas zementiert. Nun steht ihr Fall für das Ende des Kalten Krieges. Dieses wird 1991 durch die Auflösung der Sowjetunion endgültig besiegelt.

Lange Zeit wird in der DDR jegliche Opposition mundtot gemacht – bespitzelt, überwacht, weggesperrt. 1989 lassen sich viele davon nicht mehr einschüchtern. Aus kleinen Protestaktionen werden Massendemonstrationen. 70.000 Menschen kommen am 9. Oktober in Leipzig zusammen, 500.000 in Ost-Berlin am 4. November. Sie fordern freie demokratische Wahlen und umfangreiche Reformen. Zehntausende verlassen das Land in Richtung Westen. Nachdem die DDR-Regierung um Egon Krenz schließlich am 9. November großzügigere Reiseregelungen verkündet, wird unter dem Andrang von Menschen noch in der Nacht die deutsch-deutsche Grenze geöffnet – die Mauer fällt. 40 Jahren SED-Diktatur sind vorbei. Die politischen Zeichen stehen jetzt auf Neubeginn und Wiedervereinigung – in einem rasanten Tempo.

„[…] blühende Landschaften […], in denen es sich zu leben und arbeiten lohnt“, das verspricht Bundeskanzler Helmut Kohl den DDR-Bürgern im Juli 1990 bei der Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Mit dieser soll ein wichtiger Schritt in Richtung Wiedervereinigung und der Angleichung von ost- an westdeutsche Lebensverhältnisse getan werden. Für den Wiederaufbau Ostdeutschlands wird ein Milliardenpaket geschürt. Doch auf die große Begeisterung folgt für viele schnell Ernüchterung. Die Treuhandanstalt soll die Privatisierung ehemaliger DDR-Staatsbetriebe regeln, schürt jedoch eine Stimmung des Ausverkaufs. Zudem verlieren über eine Million Menschen innerhalb von zwei Jahren ihren Arbeitsplatz. Wut und Enttäuschung machen sich breit. Für viele hat die Politik versagt.

Schon kurz nach dem Mauerfall stellt Kanzler Helmut Kohl die Weichen in Richtung Wiedervereinigung. Doch nur mit Zustimmung der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs kann es eine deutsche Einheit geben, denn diese entscheiden noch immer über „Deutschland als Ganzes“. Monatelange, schwierige Verhandlungen führen schließlich am 12. September 1990 zur Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags durch die Außenminister beider deutscher Staaten sowie der USA, Frankreich, Großbritannien und Sowjetunion. Damit ist die endgültige staatliche Souveränität des geeinten Deutschlands wiederhergestellt. Umgekehrt garantiert die Bundesrepublik u. a. die Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen. Sie bleibt Partner in der NATO und gewährt der Sowjetunion im Gegenzug Milliardenkredite.

Während am 9. November 1989 die Menschen auf den Straßen den Fall der Berliner Mauer feiern, verwischt die Staatssicherheit ihre Spuren und vernichtet heimlich Beweise. Fast 40 Jahre lang hatte sie durch einen gigantischen Überwachungsapparat die Allmacht der SED gesichert. Jetzt sollen alle Unterlagen darüber verschwinden, wie das DDR-Regime seine Bürger hat einschüchtern, unterdrücken und verfolgen lassen. Bürgerkomitees ist zu verdanken, dass nicht alle Akten im Reißwolf landen. Sie besetzen im Winter 1989/90 die Bezirkszentralen der Stasi – überall, auch in Leipzig. Heute ist genau dort ein Museum beheimatet: die „Runde Ecke“. Sie bietet Besucherinnen und Besuchern einen Einblick in die Geschichte des MfS und die Arbeit seiner Hauptamtlichen und Inoffiziellen Mitarbeiter.

Hoyerswerda, Mölln, Solingen: Mit der deutschen Wiedervereinigung steigt die Gewalt gegen Ausländer sprunghaft an. Besonders in den neuen Bundesländern tritt offen zutage, was die SED jahrzehntelang verheimlicht hat: die rechte Szene im Osten wächst und rüstet auf. Nach dem Mauerfall profitiert sie von einem gesellschaftlichen Klima, in dem sich Wut und Enttäuschung – z. B. über den Arbeitsplatzverlust – gegen ausländische Menschen richtet. Schützenhilfe kommt dabei von rechtsradikalen Gruppen aus dem Westen. Dort werden jetzt vor allem türkische Familien, die schon lange in der Bundesrepublik leben, das Ziel von rassistischen Anschlägen. Die Angst vor vermeintlicher „Überfremdung“ heizt auch die politische Stimmung an. 1993 verschärft die Regierung Kohl das Asylrecht.

Warum die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte noch heute wichtig ist? Antworten auf diese Frage geben Marianne Birthler und Ulrike Poppe. Beide waren in der DDR als Bürgerrechtlerinnen aktiv und beschäftigten sich später intensiv mit den Aktenhinterlassenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit. Außerdem diskutieren sie, inwieweit es für das wiedervereinigte Deutschland eine verpasste Chance war, sich 1990 keine neue Verfassung gegeben zu haben. Die Historiker Edgar Wolfrum und Ilko-Sascha Kowalczuk nehmen ebenfalls Stellung dazu.