Literatur des 20. Jahrhunderts II

Deutschland 1945: Die Alliierten besetzen das Land. Viele empfinden dies als Befreiung, andere haben gemischte Gefühle. Hunger und Wohnungsnot bestimmen den Alltag, alles muss neu geregelt werden. In den Westzonen setzt schnell internationale Hilfe ein, die Bevölkerung im Osten ist auf sich allein gestellt. Mit der Befreiung beginnt die Verdrängung. Bis Ende der 60er Jahre bleiben die Verbrechen der Nazis in Gesellschaft und Politik ein Tabu. Bereits 1945 gründen die Alliierten den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Erste Zeitungen erscheinen, Radio und Kino folgen. Nur ein Jahr später beendet der aufziehende Kalte Krieg die Hoffnung auf eine gesamtdeutsche Kulturszene.

1949 werden zwei deutsche Staaten gegründet. Die Regierung der DDR baut einen sozialistischen Musterstaat auf. Doch funktioniert das sozialistische Ideal nur in der Propaganda. Viele Bürger verlassen enttäuscht das Land. 1961 zementiert die Mauer die endgültige Trennung zwischen Ost und West. In der BRD blüht nach der Währungsreform die Wirtschaft. Der Widerstand gegen die Wiederbewaffnung und den Beitritt zur NATO wird niedergeknüppelt. Ende der 60er Jahre erschüttern Studentenproteste das Land. Die jungen Leute wollen sich staatlichen Autoritäten nicht länger kritiklos unterordnen. Auch im Osten gehen Studenten auf die Straße. Panzer des Warschauer Paktes beenden brutal den „Prager Frühling“.

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“. – Nach 1945 greifen Lyriker zunächst auf Bewährtes zurück, wollen Halt bieten in unsicheren Zeiten. Dagegen fordert Theodor W. Adorno, sich der Vergangenheit zu stellen und den Holocaust nicht zu verdrängen. Nach und ändern sich Ton und Inhalt, werden Gedichte von Gottfried Benn, Paul Celan, Hans Magnus Enzensberger zum kritischen Spiegel der Gesellschaft. In der DDR formuliert der Kommunist Bertolt Brecht in den „Buckower Elegien“ seine Kritik am Sozialismus und seine Angst vor der Rückkehr des Nationalsozialismus. Doch erst in den 60er Jahren werden die Gedichte von Brecht, Volker Braun, Sarah Kirsch und Wolf Biermann entdeckt und gefeiert.

Schon früh entscheidet sich Friedrich Dürrenmatt Schriftsteller zu werden. Zu Beginn seiner Karriere schreibt er Kriminalromane, seit der Mitte der 50er Jahre überwiegend Theaterstücke. Neben dem „Besuch der alten Dame“ ist „Die Physiker“ seine bekannteste Komödie. Es geht um die Verstrickung der Naturwissenschaft in Krieg und Gewalt. Die Physiker Newton und Einstein leben als Patienten in einer privaten psychiatrischen Klinik. Sie sind Agenten zweier konkurrierender Geheimdienste, die Möbius für sich gewinnen wollen, der eine „Weltformel“ erfunden hat. Am Ende reißt die irre Ärztin Mathilde von Zahnd Formel an sich – die schlimmstmögliche Wendung.

Max Frisch ist lange Zeit hin- und hergerissen zwischen bürgerlicher und künstlerischer Existenz. Erst in den 50er Jahren entscheidet sich der erfolgreiche Architekt endgültig für ein Leben als Schriftsteller. Zu seinen bekanntesten Bühnenstücken zählen die Parabeln „Biedermann und die Brandstifter“ und „Andorra“. Seinen Durchbruch als Romanautor hat Frisch mit „Stiller“. Zentrales Motiv seiner Werke ist die Auseinandersetzung seiner Protagonisten mit ihrer Identität. In „Homo faber“ gerät das technisch-naturwissenschaftliche Weltbild des Ingenieurs Walter Faber ins Wanken, als er sich in Sabeth verliebt – seine Tochter, wie er später erkennt. Nahezu alle Werke des Autors gehören heute zum Standardrepertoire des Deutschunterrichts.

Wolfgang Koeppen ist ein aufmerksamer Beobachter. Seine Werke reflektieren die Empfindungen und Zustände in der jungen Bundesrepublik. In „Tauben im Gras“ erzählt er von Weltkriegssoldaten, die noch vom „End-Sieg“ träumen, von Jugendlichen, die auf Schwarzmarkt statt Schule setzen und von jungen Frauen, die von Mode, Luxus und dem Traumprinzen träumen. Der Autor begleitet Amerikaner und Deutsche auf ihren scheinbar zufälligen Wegen durch die Stadt. Erst nach und nach erschließen sich die Zusammenhänge. Koeppen gelingt mit seinen Romanen der 50er Jahre – neben „Tauben im Gras“, „Das Treibhaus“ und „Der Tod in Rom“ – eine präzise Bestandsaufnahme der westdeutschen Gesellschaft.

„Wir haben sie eingemauert, in Komfortzellen gesperrt, Nachbarschaften zerschlagen statt gefördert …“. Der Roman „Franziska Linkerhand“ handelt von einer jungen Architektin, die voller Ideale ihre erste Stelle antritt, doch angesichts der tristen Realität des Städtebaus und der menschenverachtenden Politik des sozialistischen Staats völlig desillusioniert wird. Die Parallelen zum Leben der Autorin Brigitte Reimann sind unübersehbar. Trotz Kritik engagiert sie sich im Schriftstellerverband der DDR. Als sich 1968 die mit dem Prager Frühling verbundene Hoffnung auf Erneuerung zerschlägt, opponiert sie offen. Brigitte Reimann stirbt 1973 an Krebs. Ihr unvollendeter Roman erscheint ein Jahr später.

Eine Sprache – eine Kultur – ein Deutschland. Trotzdem gehen Schriftsteller in Ost und West bald getrennte Wege. Im Osten bestimmt der staatlich gelenkte Kulturbund die Richtung. Dem „sozialistischen Realismus“ müssen sich auch die Schriftsteller beugen. Kritischen Autoren droht Schreibverbot, Gefängnis und Ausbürgerung. Im Westen gründet sich die Gruppe 47 und wird zu einer Institution im Literaturbetrieb. Die Autoren befassen sich zwar mit der Kriegs- und Nachkriegszeit, doch treffen „Nestbeschmutzer“ auch hier auf eine rigide Zensur. 1965 erreicht die Protestkultur den literarischen Markt. Mit dem Theaterstück „Die Ermittlung“ von Peter Weiß beginnt die Auseinandersetzung mit dem Holocaust.