H-Soz-Kult, 05.12.2017
Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Anja Thaller, Historisches Institut, Universität Stuttgart
Die DVD ist Teil 25 der Reihe „Geschichte interaktiv“, die ihren Schwerpunkt bislang vor allem in der Geschichte der Neuzeit hatte. Mittlerweile liegen drei DVDs zum Mittelalter vor (Mittelalter I – Frühmittelalter; II – Hochmittelalter; III – Spätmittelalter), welche die traditionelle Binnenperiodisierung widerspiegeln. Während das Frühmittelalter explizit als vom Ende des Weströmischen Reiches bis zum Ende der karolingischen Herrschaft reichend dargestellt wird, enthält die DVD zum Hochmittelalter keine dezidierten Zeitgrenzen – sie lassen sich nur implizit erschließen: Es beginnt bei den Wikingerzügen und endet mit der Verbrennung des Jacques de Molay im Jahr 1314.
Die DVD besteht aus einem Hauptfilm von etwa 29 Minuten Länge und fünf Nebenfilmen (Modulen) von je ca. 12–25 Minuten Dauer mit jeweils einzeln anwählbaren Teilkapiteln. Didaktisches Begleitmaterial zur Erarbeitung und Festigung des Inhalts im Unterricht (Material und Aufgaben zu den Filmen für den deutschsprachigen Geschichtsunterricht, Methodenkarten, Medien- und Quellenverzeichnis) ist über die Webseite [1] downloadbar.
Der Hauptfilm von Günter Fortak mit dem Titel „Gott will es! Kämpfe im Namen des Glaubens“ (28:39 Min.) bietet folgende Themenauswahl: „Abwehr und Bekehrung: Der Kampf gegen die Heiden“, „Reform und Militarisierung: Der Kampf um die Stellung der Kirche“, „Religiöser Eifer und Pogrome: Der Kampf gegen die Juden“, „Kreuzzüge und Eroberung: Der Kampf gegen die Muslime“ und „Abtrünnige und Ketzer: Der Kampf von Christen gegen Christen“. Modul 1 von Carola Halfmann beschäftigt sich unter dem Titel „Kaiser, Papst und Fürsten – Grundstrukturen der Herrschaft“ (25:34 Min.) vor allem mit dem Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft und gliedert sich in die Teilkapitel „Otto I. und die Reichskirche“, „Heinrich IV. und der Investiturstreit“ sowie „Friedrich I. Barbarossa und die Fürsten“. Modul 2 (Anne Roerkohl) „Ora et labora – bete und arbeite“ (20:23 Min.) widmet sich dem Klosterleben, beleuchtet dabei die mittelalterliche Glaubenswelt, Arbeit als Gottesdienst und geht beispielhaft auf das UNESCO-Weltkulturerbe Zisterzienserkloster Maulbronn ein. Das Rittertum steht im Zentrum von Modul 3 (21:14 Min., Katja Brandt): Hier erfährt man etwas über die Ausbildung zum Ritter, die Entstehung des Rittertums und die Kreuzritter, über Turniere und Ausrüstung sowie über die Lebenswelt Burg. Die letzten beiden, kürzeren, Module werden als Exkurse gekennzeichnet: Modul 4 (Anne Roerkohl und Carola Halfmann) beleuchtet in 13 Minuten die Welt mächtiger Frauen am Beispiel der Äbtissinnen von Quedlinburg, während Modul 5 (12:29 Min., Felix Dürich) einen Bogen zur Gegenwart schlägt und das Reenactment-Spektakel der Burgmannentage im niedersächsischen Vechta in Interviews mit der Frage verbindet, wie authentisch dort das Hochmittelalter erfahrbar sei.
Schon das Coverbild macht deutlich: Es geht um Herrscher, Ritter und Mönche. Vermittelt wird das klassische Bild vom „deutschen“ Hochmittelalter. Die in den weiteren Mittelalter-DVDs dieser Reihe in den Blick genommenen anderen Länder und Kulturräume kommen hier nur vor der Folie der Kreuzzüge vor. Der Hauptfilm transportiert das Bild eines gewalttätigen Mittelalters: So zieht sich das Wort „Kampf“ durch die Titel aller Teilkapitel. Es kämpfen Christen gegen Heiden, Juden, Muslime und gegen andere Christen. Die Darstellung, dass die Kirche im 10. Jahrhundert von Heiden wie Wikingern und Ungarn bedroht gewesen sei (Sarazenen werden nicht erwähnt), verkennt, dass deren Einfälle – die zum überwiegenden Teil bereits ins 9. Jahrhundert fallen – nicht originär das Christentum bedrohen sollten, sondern vorrangig ökonomisch motiviert waren. Die Kirche sei im 10. und 11. Jahrhundert „mächtig wie nie“ gewesen. Hier gilt der Vergleich wohl nur der Zeit davor, denn mächtiger war sie sicher an der Wende zum 13. Jahrhundert unter Papst Innocenz III. Verkürzt wird auch der Vierte Kreuzzug mit der Formel „Christen rauben Christen aus“ wiedergegeben, die komplexen Ereignisse und Bedingungen im Vorfeld finden keine Erwähnung.
Gelungener als der Hauptfilm sind die Nebenfilme, auch wenn gerade in Modul 1 ein stark herrscherzentriertes Narrativ Verwendung findet. Von den hochmittelalterlichen römisch-deutschen Königen und Kaisern werden seit dem 19. Jahrhundert immer wieder Otto I., Heinrich IV. und Friedrich I. als „Paradebeispiele“ für „starke“, „deutsche“ Herrscher herangezogen. Die Einbeziehung Kaiser Friedrichs II. etwa hätte ganz andere Perspektiven auf jene Zeit ermöglicht. Die im Titel von Modul 1 angesprochenen Fürsten – ohne deren Konsens auch die Herrschaft dieser Kaiser nicht auskommen konnte – werden nur im Rahmen des staufisch-welfischen Gegensatzes exemplarisch durch Heinrich den Löwen vertreten. Die weitere Themenauswahl ist ebenfalls traditionell und schreibt das Bild eines romantischen Mittelalters der Ritter, Burgen und Minnesänger fort. Man bekommt den Eindruck, die hochmittelalterliche Lebenswelt habe sich auf Burgen und Klöster beschränkt, das Leben in der Stadt oder der Grundherrschaft kommt nicht vor. Von sozialen Minderheiten und Randgruppen finden lediglich die Juden im Rahmen der mit den Kreuzzügen in Zusammenhang stehenden Pogrome Erwähnung. Immerhin wird Frauen, wenngleich primär den hochadeligen Stiftsdamen und Äbtissinnen von Quedlinburg, in Form eines Exkurses auch ein Platz in dieser Welt zugestanden. Die Möglichkeiten weiblichen Lebens werden allerdings vor einer männlichen Folie gespiegelt: Die Äbtissin Mathilde „vertritt den König“ oder „beruft Hoftage ein wie ein König“. Weltliche Frauen sind – bis auf Mathilde von Tuszien – allesamt nur in ihrer Rolle als Ehefrauen mächtiger Herrscher und Fürsten wahrnehmbar.
Insgesamt greift die Darstellung naturgemäß einzelne Bereiche der Geschichte des Hochmittelalters heraus. Die den Filmen zugrundeliegende Auswahl und Schwerpunktsetzung, die Tatsache, dass auch unterschiedliche Sichtweisen auf ein und dasselbe Thema möglich sind und historisches Wissen erst aus Quellen erarbeitet werden muss und nicht so gesichert ist, wie es im Film oder im Schulbuch erscheint, könnte anhand der Beispiele im Unterricht thematisiert werden. Ebenso bieten sich mit der Analyse der implizit transportierten Mittelalter-Bilder Chancen zur Kontextualisierung und Diskussion. Der Gegenwartsbezug erschöpft sich im Wesentlichen im Exkurs zum Mittelalterspektakel. So schließt sich der Kreis: Kein Mittelalterfest ohne Schaukampf; auch wenn die Veranstalter die Epoche nicht als gewalttätig und düster zeigen wollen, sondern als „ein lichtes, helles, buntes Mittelalter“. Ein differenzierterer Zugang liegt wohl irgendwo dazwischen.
Wie üblich bei derartigen Formaten kommen ExpertInnen zu Wort: Gerd Althoff (Münster) und Claudia Garnier (Vechta) erläutern und vertiefen die verschiedenen Themen in altersadäquater Sprache. Angereichert sind die Filme mit zeitgenössischen Abbildungen, vor allem ansprechend animierte Illuminationen mittelalterlicher Handschriften springen ins Auge, wenngleich auch viel neuzeitliches Bildmaterial zum Einsatz kommt, etwa aus dem 16. Jahrhundert oder historisierende Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert. Sehr gelungen sind die animierten Karten. Erfreulicherweise werden nur wenige Sequenzen nachgespielt. Positiv zu vermerken ist auch das Fehlen rasanter Schnitte und Unterlegungen mit dramatischer Musik, wie man sie aus Dokutainment-Formaten kennt. Hier zeigt sich einmal mehr, dass es sich um seriös ausgearbeitetes Lehrmaterial handelt. Allerdings hat es den Anschein, dass Jahreszahlen und Namen häufig vermieden werden.
Die DVD ist gemeinsam mit dem didaktischen Begleitmaterial im Unterricht der Sekundarstufe I und II ob der verwendeten Sprache und didaktischen Reduktion gewinnbringend zur Erarbeitung und Wiederholung von Grundwissen einsetzbar. Hier erscheint Geschichtswissen für Schülerinnen und Schüler nicht als „trockener“ Prüfungsstoff, sondern nachvollziehbar und lebendig. Gerade die Möglichkeit der individuellen und flexiblen Ansteuerung der einzelnen Module und Teilkapitel ist ein großer Vorteil. Die DVD bietet eine gelungene Präsentation eines im Schulbetrieb häufig zu kurz kommenden Themenfeldes und kann aufgrund der fachlichen Basis empfohlen werden.
Anmerkung:
[1] http://www.dokumentarfilm.com (09.11.2017).
Anja Thaller: Rezension zu: Anne Roerkohl dokumentARfilm GmbH (Hrsg.): Mittelalter II. Das Hochmittelalter. Münster 2016 , in: H-Soz-Kult, 06.12.2017, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-28561>.