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inn-joy, 08.04.2014

Der Erste Weltkrieg ist die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts – der erste globale Krieg, der durch den Eintritt verbündeter Nationen und Kolonialtruppen von einem europäischen Konflikt zu einem Weltkrieg wird. Die moderne Kriegstechnologie – Artillerie, Gas, Luft- und U-Bootkrieg – fordert Opfer in bis dahin nicht gekanntem Ausmaß.

Der Krieg an Westfront und Ostfront hat ein unterschiedliches Gesicht: Während er im Westen in einen Stellungskrieg mit grausamen Materialschlachten mündet, zeigt er sich im Osten als Bewegungskrieg mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung in den Grenzgebieten. Tagebücher und Feldpostbriefe geben einen Einblick in das schwierige Leben an der Front und in der Heimat. Gerade in den multiethnischen Imperien zeigt sich die Entgrenzung der Gewalt durch Deportationen, Pogrome und Genozid.

Der Erste Weltkrieg hinterlässt auch tiefe Spuren in Kunst und Literatur. Maler wie Otto Dix oder Paul Nash, Schriftsteller wie Edlef Köppen, Erich Maria Remarque und Robert Graves verarbeiten ihre Erfahrungen von der Front in eindrücklichen Werken.

Experten wie Prof. Gerd Krumeich, Prof. Jörn Leonhard und Prof. Jörg Baberowski erläutern die neuen Dimensionen des Ersten Weltkrieges und gehen auf die aktuelle Diskussion der Kriegsschuldfrage ein.

Kritik:

2014 jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum 100sten Mal. Dieser Krieg war nicht nur in seiner Art und Weise (Grabenkrieg, Materialschlachten) für alle Beteiligten etwas vollkommen Neues, sondern hatte durch seinen Verlauf und vor allem den Versailler Friedensvertrag weitreichende Folgen, die erst den Aufstieg Adolf Hitlers ermöglichten. Obwohl heute keine Zeitzeugen mehr leben und der Krieg durch die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs noch übertroffen wurde, ist der Erste Weltkrieg noch immer das Symbol schlechthin für sinnlose Kriege.

Anlässlich des 100sten Jahrestages widmet sich die neuste Folge der Reihe „Geschichte interaktiv“, die bei der Anne Roerkohl dokumentARfilm GmbH seit 2004 erscheint, dem Ersten Weltkrieg. Auch die im Herbst erscheinende Folge 21 wird sich mit dem Ersten Weltkrieg befassen.

Im Hauptfilm geht es um einen allgemeinen Überblick mit dem Titel „Vom europäischen Krieg zum Weltkrieg“. Der Film beginnt mit den Mächtekonstellationen in Europa vor Kriegsausbruch 1914. Im Fokus stehen die Bündnisse von Bismarck bis zu Kaiser Wilhelm II. und die der späteren „Entente“-Mächte. Im Anschluss beleuchten die Autoren des Films die sogenannte „Julikrise“ und den Kriegsausbruch. Sie stellen das Attentat von Sarajevo, bei dem der österreichische Thronfolger Franz-Ferdinand und seine Frau von einem serbischen Nationalisten ermordet wurden, in den größeren Zusammenhang und erläutern, wie hier die Bündnisse quasi in einer Kettenreaktion ineinander greifen. Die Kriegsschauplätze im Osten und Westen werden im Folgenden ebenso präsentiert, wie die neuen Waffen, die es erst ermöglichten, den Krieg so menschenverachtend zu führen (u.a. Giftgas, Flammenwerfer, MGs und Tanks). Auch die „Heimatfront“, die eine sehr wichtige Rolle spielte, wird dargestellt.

Die sechs Module vertiefen einzelne Aspekte des Hauptfilms bzw. ergänzen die Unterthemen „Ausbruch“, „Materialschlachten“ sowie „West- und Ostfront“. Im ersten Modul geht es um den Weg in den Krieg. Hier werden die „alten“ Bündnisse Bismarcks vorgestellt, dem es in erster Linie darum ging, den Erbfeind Frankreich auf dem europäischen Festland zu isolieren und ein Bild vom Deutschen Reich als „saturierter“ also „friedliebender“, Nation zu etablieren. Dem entgegen steht der „neue Kurs“ Kaiser Wilhelms II., der mit seinem Weltmachtstreben und dem von Bülow proklamierten „Platz an der Sonne“ ein politisches „Russisches Roulette“ spielte, indem er die alten Bündnisse aufkündigte, außenpolitisch die Nachbarstaaten provozierte („Flottenpolitik“, „Daily Telegraph-Affäre“, „Hunnenrede“, „Panthersprung nach Agadir“, „Bau der Bagdad-Bahn“) und sein Kolonialbestreben zum Zentrum seiner Außenpolitik ausrief. Hinzu kommen die Geschehnisse auf dem Balkan, dem „Pulverfass Europas“.

Das zweite Modul stellt den „Krieg an der West- und Ostfront“ in den Fokus. Während im Westen ein Stellungskrieg vorherrschte, kam es im Osten zum „Bewegungskrieg“. Die Unterthemen des Kapitels zur Westfront beziehen sich auf den „Soldat als Maschinist – eine neue Dimension des Tötens“ und die beiden großen Schlachten um Verdun und an der Somme. Das Kapitel zur Ostfront stellt die Schlacht bei Tannenberg, die Exzesse in Galizien sowie den Militärstaat „Ober-Ost“ vor. (Im November 1914 erhielten Paul Hindenburg & Erich Ludendorff das Oberkommando über alle deutschen Truppen an der Front im Osten. Das eingenommene und von den Truppen verwaltete Gebiet von „Ober-Ost“ umfassten u.a. das heutige Litauen („Kurland“) und Teile Weißrusslands. Ab 1916 übernahm Prinz Leopold von Bayern das Oberkommando über „Ober-Ost“.)

Modul drei setzt sich mit der „Entgrenzung von Gewalt“, den „Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung“ an Beispielen aus Belgien, Serbien und Armenien auseinander. Gerade dieser Genozid, der unter der Regierung der „Organisation Komitee für Einheit und Fortschritt“ stattfand, ist noch heute ein explosives Thema (nicht nur) in der Türkei, da er nach wie vor geleugnet wird.

Wie sich die Einstellung eines Beteiligten vom begeisterten Kriegsbefürworter (wie die meisten Europäer) zum absoluten Kriegsgegner wandelte, zeigt das Beispiel des Künstlers Otto Dix in Modul vier. Meldete er sich zu Kriegsbeginn als Freiwilliger an die Front, so wurden die folgenden Jahre und sein künstlerisches Schaffen von den Grausamkeiten und den Schwierigkeiten des Soldatenlebens an den Fronten (Dix wurde auch an der Ostfront eingesetzt) geprägt. Kaum ein zweiter Künstler hat die Erlebnisse und die Folgen des Krieges so drastisch dargestellt wie Otto Dix.

Das folgende fünfte Modul stellt die „Kriegsliteratur“ in den Vordergrund der Betrachtungen. „Militarismus und Kriegsbegeisterung“, „Ernüchterung und Massensterben an den Fronten“ sowie der „Alltag an der Heimatfront“ werden von verschiedenen Autoren intensiv und detailliert beschrieben.

Das letzte Modul bietet einen Exkurs zum Museum „In Flanders Fields“ in Ypern. In einer Videoinstallation berichtet ein Schauspieler als Soldat des Ersten Weltkriegs, wie er die Schlacht um Ypern erlebte. Es wird die Geschichte Yperns dargestellt, die Schlacht im Ersten Weltkrieg und wie Ypern heute aussieht. Darüber hinaus zeigt das Modul einen Gang durch das Museum mit seinen Exponaten, Medienstationen usw.

Die Modulinhalte werden wie immer von professionellen Sprechern erläutert. Darüber hinaus illustrieren und erläutern zahlreiche zeitgenössische Darstellungen, Karikaturen, Karten und Filmaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg die Zusammenhänge. Die historischen Kontexte werden wie gewohnt von verschiedenen Experten kommentiert. Sämtliche Module sind sowohl in deutscher Sprache, als auch für den bilingualen Geschichtsunterricht in englischer Sprache und einer gemischten Version (dt./engl.) anwählbar. Das didaktische Begleitmaterial zur aktuellen Folge kann von der Homepage der dokumentARfilm heruntergeladen werden.

Fazit:

Seit nunmehr 20 Folgen bietet euch die Anne Roerkohl dokumentARfilm GmbH hervorragend konzipierte DVDs zu historischen Themen. Zum 100-jährigen Jubiläum hat dokumentARfilm sich einem der wichtigsten und weitreichendsten Themen des 20. Jahrhundert, dem Ersten Weltkrieg, gewidmet. Der erste Teil bietet einen ausführlichen Einblick in Ausbruch, Materialschlachten, Ost- und Westfront sowie die menschlichen Schicksale hinter den Schlachten. Einen großen Schwerpunkt legt man erneut auf das didaktische Begleitmaterial. Dieses ist noch weit ausführlicher und vielseitiger als bei den bislang erschienenen DVDs. Schön ist die Idee, das Material nicht auf die DVD-ROM zu bringen, sondern online den Nutzern zur Verfügung zu stellen. Hierdurch ist eine größere Flexibilität für den Nutzer aber auch die Entwickler gewährleistet und die Möglichkeit gegeben, viel mehr Materialien anbieten zu können als bisher. Eine tolle Idee, wie wir finden.

Die inn-joy Redaktion vergibt 10 von 10 Punkten.

Die inn-joy Redaktion bedankt sich bei dokumentARfilm für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.

D. Stappen

http://inn-joy.de/movies/dvd-reviews/599-gi-folge-20-erster-weltkrieg-i-ausbruch-materialschlachten-westfront-und-ostfront