H-Soz-Kult, 24.03.2015
Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Bert Freyberger, Didaktik der Geschichte, Universität Bamberg
Die beiden zusammengehörigen DVD’s sind, wie bereits mehrere Vorgänger zu anderen historischen Themen, Teil einer groß angelegten digitalen Dokumentation der deutschen Geschichte vom 19. Jahrhundert bis zur Realisierung der deutschen Wiedervereinigung in den Jahren 1989/90. Dabei handelt es sich grundsätzlich um eine Reihe, die, wie der Rezensent bereits in einer früheren Besprechung zu einer anderen Folge festgestellt hat [1], modernen Geschichtsunterricht aus fachdidaktischer wie unterrichtspraktischer Sicht enorm bereichern kann.
Vorab sei gesagt: Die beiden DVD’s zum Ersten Weltkrieg, in zwei Produktionsschritten erschienen zum großen Erinnerungsjahr 2014, greifen zahlreiche wesentliche Elemente und Phänomene der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ auf, die im – zunehmend offenen, schülerseits selbstgesteuerten, kompetenzorientierten – Geschichtsunterricht von heute von großer Bedeutung sind. Die Aufteilung in zwei DVD erklärt sich zunächst rein chronologisch: DVD 1 thematisiert die Jahre 1914–1916 (unter den Hauptschlagworten „Ausbruch, Materialschlachten, Westfront und Ostfront“), DVD 2 die Jahre 1917/18 (unter den Hauptschlagworten „Heimatfront, Revolutionen, Kriegsende“). Eine solche Aufteilung ist eher traditionell, ermöglicht dennoch aber den übergreifenden Blick auf länger wirkende Phänomene, die sich durch den gesamten Weltkrieg ziehen (z.B. Kriegsbegeisterung vs. -müdigkeit, Frage der Legitimität des Kriegs, Schuldfrage etc.).
Unter dem Signum „Geschichte interaktiv“ führt das inhaltlich-methodische Gesamtformat das inzwischen bewährte methodische Selbstverständnis der Gesamtreihe (Hauptfilm mit Nebenfilmen, Arbeitsblätter/thematische Module zur gelenkten oder selbstständigen Erarbeitung, Festigung und Vertiefung des jeweiligen Filmmoduls, sog. Methodenkarten mit allgemeinen methodischen Hinweisen zu den wichtigsten Medien der Epoche wie Fotografien, Karikaturen, Karten, Plakaten, politischen Reden, Statistiken und Zeitungen) bewusst fort. Dass die DVD diesmal jeweils vergleichsweise lang (ca. 130 / ca. 147 min.) geworden ist, mag je nach konkretem Verwendungszweck als Vor- oder Nachteil angesehen werden, ist angesichts sinnvoller Verwendbarkeit zahlreicher Bestandteile jedoch eher unproblematisch. Besonders interessant ist, wie bislang in den meisten Folgen der Gesamtreihe, die bewusste Konzeption allen Materials auch für den bilingualen Sachfachunterricht (Zielsprache Englisch), dessen methodisch-didaktische Qualitätssicherung zwei Kennerinnen von Theorie und Praxis des Bilingualen (Ulrike Möllney, Elke Müller-Schneck) gewährleisten; neuere Untersuchungen zum Mehrwert des Bilingualen zeigen in der Tat, dass gerade im Bereich des interkulturellen Fremdverstehens durch entsprechende Zugriffe, wie sie auch die zu besprechenden DVD’s bieten, erstaunliche Erfolge erzielt werden können.
Jede DVD beinhaltet einen Hauptfilm von ca. 25–30 min. (DVD 1: „Vom europäischen Krieg zum Weltkrieg“, DVD 2: „Der Weltkrieg und das Ende des alten Europas“), der Schülerinnen und Schülern das entsprechende thematische Orientierungswissen bietet. In beiden kommen jeweils auch bekannte Expertinnen und Experten des Themas, hier vor allem Gerd Krumeich (Düsseldorf), Jörg Baberowski (Berlin), Herfried Münkler (Berlin) oder Jörn Leonhard (Freiburg), in mehreren Sequenzen (insbesondere zur völlig neuen Dimension des Krieges bzw. zur sogenannten Kriegsschuldfrage) ausführlich zu Wort; dies passt sich in das übliche Gebaren deutscher wie internationaler Dokutainment-Formate ein, entscheidende Sacherläuterungen und Bewertungen, sozusagen aus höherer Expertenperspektive, gezielt einzustreuen. Trotz des mitunter deduktiven Duktus ist dies auch im konkreten Falle in Ordnung, zumal es nun eben auch Aufgabe des Geschichtsunterrichts ist, solche Aussagen im Sinne der Kontroversität in den Kontext von Äußerungen anderer Historikerinnen und Historiker zu stellen; exemplarisch im Erinnerungsjahr 2014 hierbei etwa der – bis in den Göttinger Deutschen Historikertag hinein reichende – Diskurs zwischen Krumeich und dem australischen Historiker Christopher Clark, dessen Publikation „Die Schlafwandler“ vor allem in Deutschland großes Aufsehen erregt hat; im Übrigen hat auch der oben genannte Politologe Münkler im Rahmen einer voluminösen Publikation zum Ersten Weltkrieg („Der große Krieg“) im aktuellen Diskurs aktiv Stellung bezogen.
Den jeweiligen Hauptfilm vertiefen, ebenfalls dem Duktus der Gesamtreihe entsprechend, je DVD sechs bzw. sieben thematische Module (Länge: je 10–15 min.). Da diese einzeln aufzulisten hier deutlich zu weit führen würde, sei lediglich Folgendes prägnant gesagt: Die Module lassen die aus rivalisierenden Marktangeboten sattsam bekannten Faktenaufhäufungen (mitunter kombiniert mit stark emotionalisierenden Filmaufnahmen bzw. verkürzt moralisierenden Stellungnahmen von Experten und Zeitzeugen) wohltuend hinter sich und bieten interessante, aus erinnerungskultureller Perspektive wichtige Einblicke in Rezeption und Fortleben diverser Weltkriegserfahrungen und -wahrnehmungen (z.B. DVD 1: „Künstler im Krieg – Otto Dix“, „Der Erste Weltkrieg in der Literatur“ [bezogen auf 1914–16], „Der Erste Weltkrieg im Museum“; DVD 2: „Künstler und Krieg – Käthe Kollwitz“, „Der Erste Weltkrieg in der Literatur“ [bezogen auf 1917/18] oder „Elfriede Kuhr – Kriegstagebuch einer Schülerin“). Die Herstellung des in vielen Lehrplänen heute mehr denn je geforderten, in Zeiten der Kompetenzorientierung präzisierten sog. Lebensweltbezugs ist so über verschiedene inhaltlich-methodische Zugriffe gut möglich.
Anders als bei früheren Folgen der Gesamtreihe ist – zusätzlich zu den beiden DVD’s – das Angebot didaktischen Begleitmaterials diesmal an den Download von der Homepage des Anbieters [2] gekoppelt, was jedoch die inhaltlichen Angebotsmöglichkeiten deutlich erhöht. Dort findet sich in der Tat ein breites pdf-Portfolio, in dem unter anderem einzelne Filmsequenzen der jeweiligen DVD direkt innerhalb des pdf-Dokuments betrachtet werden können sowie ausführliches Material für den deutschsprachigen wie bilingualen Geschichtsunterricht (Zeitleisten, Quellen, Geschichtskarten, vertiefende Informationen zu Experteninterviews etc.) sinnvoll platziert und aufbereitet ist; hinzu kommen ausführliche Hinweise auf grundlegende wie aktuelle thematische Literatur sowie Vorschläge für themenbezogene Aufgabenstellungen, die in der Regel kompetenzorientiert auch umsetzbar sind. Auch erschweren (wie andernorts leider immer wieder erfahrbar) zahlreiche sinnvolle Verlinkungen das Manövrieren nicht nur in keiner Weise, sondern lassen einen meist zielführenden, effektiven Umgang damit technisch wie didaktisch zu.
Abschließend möchte der Rezensent bewusst eigene Aussagen der Besprechung eines früheren Teils der Gesamtreihe weitgehend wiederholen: Die zentrale unterrichtsdidaktische Frage, nämlich die der flexiblen Einsetzbarkeit der hier besprochenen DVD-ROM in der Praxis, ist generell sehr positiv zu beantworten. Aufgrund überlegter technischer Angebote, etwa der präzisen Ansteuerbarkeit einzelner Teilsequenzen innerhalb der Module, ist es jederzeit möglich inhaltliche Schwerpunkte zu setzen oder schnell auf das Eine oder Andere zurückzukommen, ohne dass endlose Längen das Unterrichtsgespräch unnötig unterbrechen oder gar lähmen. Im Zuge aktueller Diskussionen um Kompetenzorientierung stellt das Ganze zudem ein schönes, innovatives Angebot dar, das – gerade aufgrund der zahlreichen inhaltlichen wie methodischen Querblicke – einem produktorientierten Geschichtsunterricht nur förderlich sein kann. Die auch diesmal aufwändig produzierten DVD’s gehen damit einen gelungenen Mittelweg zwischen der in ähnlichen Formaten bisweilen zu beobachtenden Simplifizierung von Sachverhalten sowie Produktionen, die durch zu große Dichte an Dokumenten, Kommentaren und Verlinkungen eine selbsttätige Befassung durch Schülerinnen und Schüler geradewegs zum Abenteuer werden lassen. Man wird demnach auch an diesem thematischen Angebot zum Ersten Weltkrieg seine Freude haben.
Anmerkungen:
[1] Bert Freyberger: Rezension zu: Roerkohl, Anne: Die Deutsche Frage IV – Epochenjahr 1989/90. Münster 2009, in: H-Soz-Kult, 24.01.2011, <http://www.hsozkult.de/digitalreview/id/rezcdrom-13968> (06.03.2015).
[2] <http://www.geschichte-interaktiv.com> (06.03.2015).
Zitation
Bert Freyberger: Rezension zu: Roerkohl, Anne: Erster Weltkrieg I 1914–1918 / The First World War I 1914–1918. Ausbruch – Materialschlachten – Westfront und Ostfront / Outbreak – Materiel Battles – Western and Eastern Fronts. Münster 2014 / Roerkohl, Anne: Der Erste Weltkrieg II 1914–1918 / The First World War II 1914–1918. Heimatfront – Revolutionen – Kriegsende. Münster 2014, in: H-Soz-Kult, 24.03.2015, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-23288>.