H-Soz-Kult, 10.03.2014
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Arne Karsten, Seminar für Geschichte, Bergische Universität Wuppertal
„Renaissance“ und „Reformation“ – mit diesen beiden Schlüsselbegriffen wird gemeinhin Europas Aufbruch in die Moderne assoziiert. So ist es nur folgerichtig, dass die Reihe „Geschichte interaktiv. Das modulare Medienkonzept für den Unterricht“ neben der Renaissance [1] auch dem Zeitalter der Glaubensspaltung eine DVD widmet, die den umfangreichen historischen Stoff zugleich schülergerecht, unterrichtstauglich und auf dem Stand der heutigen historischen Forschung aufzubereiten sucht.
Der Auftakt der DVD lässt im ersten Moment nichts Gutes erwarten; zu dunkel-drohenden Klängen und lodernden Flammen verkündet ein Sprecher aus dem off: „Im Namen Gottes will der Prager Prediger Jan Hus Mitte des 15. Jahrhunderts die Kirche reformieren. Er wird als Ketzer verurteilt und lebendig verbrannt. Mit hartnäckigen Ketzern wie ihm macht die Kirche kurzen Prozess.“ „Oh je,“ denkt der Zuschauer, „alles wie gehabt, im finsteren Mittelalter“. Und einmal ganz abgesehen davon, dass Jan Hus nicht in erster Linie „Prediger“, sondern vor allem Theologie-Professor war, nicht „Mitte des 15. Jahrhunderts“, sondern 1415 verurteilt wurde und zwar nicht von „der Kirche“, sondern auf dem Konstanzer Konzil – fatal ist der erste emotionale Eindruck, den dieser Einstieg vermittelt, besonders deswegen, weil er das Bedrohungsszenario einer prätotalitären Unterdrückungsinstitution namens „die Kirche“ suggeriert, gegen die dann die tapferen Reformatoren ihren furchtlos-gewissenhaften Kampf aufnahmen, um die Menschheit aus den Fesseln finsterer Gedankenknechtschaft zu befreien und auf den goldenen Weg der Freiheit und des Fortschritts zu führen. Das ist nun natürlich nichts weiter als ein abgestandenes Klischee aus dem kulturkämpferischen 19. Jahrhundert und hat mit der historischen Realität nicht zu tun. Dass es bis heute in den Köpfen, anscheinend unausrottbar, präsent ist, verrät allerlei aus über unsere Gegenwart, nichts jedoch über die Lebenswirklichkeit der Menschen im Europa um 1500.
Dieser Auftakt der DVD ist insofern besonders bedauerlich, als er Befürchtungen weckt, die sich glücklicherweise ganz und gar nicht erfüllen. Im Gegenteil: Alles in allem bietet die DVD ein sorgsam differenziertes und nuanciertes, klug kommentiertes (vor allem von Barbara Stollberg-Rilinger) und anschaulich gestaltetes Bild einer Epoche, die in vielen Punkten unserer heutigen Lebenswelt sehr fremd geworden ist. Aber gerade deswegen kann ihre Rekonstruktion den Schülern dabei helfen zu verstehen, wie unsere Gegenwart sich aus der Vergangenheit heraus entwickelt hat, dass sie keineswegs „natürlich“, sondern in langfristigen Veränderungsprozessen entstanden ist.
Wie die Komplementär-DVD zur Renaissance ist auch „Die Reformation“ in einen Hauptfilm und (sechs) Module unterteilt, die ihrerseits in zwei bis fünf Kapitel gegliedert sind. Der Hauptfilm „Reformation in Europa“ enthält die Unterthemen: „Kirche und Christentum vor der Reformation“, „Reformatoren: Luther, Zwingli und Calvin“, „Täuferbewegung in Münster“, „Staatskirchen in Skandinavien und England“, „Religionskriege und Konfessionalisierung“. Deutlich wird schon an dieser Struktur, was die Darstellung, wechselnd zwischen off-Kommentaren vor dem Bildhintergrund (meist) historischer Abbildungen und Interview-Passagen, bestätigt: das erfolgreiche Bemühen, der Reformation in ihrer Komplexität gerecht zu werden, die unterschiedlichen theologischen Positionen der wichtigsten Reformatoren ebenso zu erläutern wie deren grundlegende gesellschaftliche und politische Auswirkungen und schließlich die jeweiligen Ausformungen, welche der Glaubenswandel in verschiedenen Regionen Europas fand. Aus „der Reformation“ werden unversehens verschiedene Reformationen.
Modul 1 „Martin Luther“ beschreibt nicht nur den Werdegang des Reformators, sondern erläutert unter anderem mit eindrucksvoller Präzision den für das Zeitalter der Glaubensspaltung so zentralen Zusammenhang zwischen religiöser Lehre und gesellschaftlichen Veränderungen; Modul 2 „Reformation als Medienereignis“ lässt die Auswirkungen des Zusammenspiels von Buchdruck und Glaubensstreit für die Entstehung der modernen Welt anschaulich werden; Modul 3 „Reformation im Alltag“ personalisiert gekonnt, indem es die Auswirkungen der Reformation auf die Lebenswirklichkeit der Zeitgenossen anhand zweier prominenter Frauen schildert: Luthers Ehefrau Katharina von Bora einerseits, andererseits Caritas Pirckheimer, Nürnberger Äbtissin und Schwester des berühmten Humanisten Willibald Pirckheimer. Es sind die vielleicht eindrücklichsten Passagen der DVD, in denen das Leben dieser Anhängerin des alten Glaubens (überzeugend kommentiert von Martin Schieber vom Nürnberger Verein „Geschichte für Alle“) beschrieben wird. Ihr Kampf um den Erhalt ihres Klosters und der einmal gewählten Lebensform lässt mit einem Mal eine in den Geschichtsbüchern den Schülern fast immer vorenthaltene Welt aufleuchten: diejenige nämlich der zahlreichen Gegner der durch die Reformation initiierten Veränderungen.
Modul 4 bietet mit den drei Kapiteln „Städte als Zentren der Reformation“, „Bauernkrieg“ sowie „Kaiser und Fürsten“ abermals einen im Wesentlichen gelungenen Überblick über die politischen Hintergründe und Folgen des Glaubensstreits; Modul 5 überzeugt als Exkurs für die Sekundarstufe I durch seine höchst plastische Beschreibung des Alltags im Hause Luther, nicht zuletzt durch die jugendgerechten Beschreibungen der Museumspädagogin Constanze Köppe. Die Schüler erfahren dabei unter anderem, dass sich die Reformation für den Reformator selbst auch wirtschaftlich gelohnt hat: Die Luthers wurden zu den größten Vieh- und Landbesitzern Wittenbergs, an der Tafel des Reformators waren häufig um die 50 Personen versammelt – nebenbei bemerkt: ungefähr das, was den Hofstaat eines mittleren römischen Kardinalshaushalts in dieser Zeit ausmachte.
Es entsteht mithin, sehr im Gegensatz zu den eingangs erweckten Erwartungen, ein facettenreiches Bild der Reformation, und zwar in einer Gestalt, die den Schülern die Auseinandersetzung mit der fernen Vergangenheit der Reformation leicht zu machen sucht. Möglicherweise wäre im Hinblick auf den präsentierten Stoff hier und da weniger mehr gewesen, mitunter kamen beim Rezensenten doch Zweifel auf, ob so manche Aussage haften bleiben kann. So etwa die (an sich ja richtigen und wichtigen) Hinweise darauf, dass selbst der blutige Bauernkrieg 1524/25 auch positive Folgen in Form der Verrechtlichung vieler Lehnsverhältnisse zeitigte – so etwas müsste wohl geduldiger und nachvollziehbarer erklärt werden. Auch ist die Präsentation des Stoffs insgesamt sehr erzählerisch, hier und da wäre ein stärkerer Einsatz zum Beispiel von Karten denkbar. Schließlich ist bedauerlich, dass die historischen Bilddokumente fast ausschließlich als Illustrationsmaterial eingesetzt werden – „Bilder als historische Quelle“ kommen leider zu kurz.
Doch das sind alles Einwände, oder eigentlich eher: Anregungen im Detail, die nichts am Gesamturteil ändern sollen, dass die mit reichem didaktischem Begleitmaterial ausgestattete DVD für die Beschäftigung mit der Reformation im Schulunterricht uneingeschränkt empfohlen werden kann.
Anmerkung:
[1] Anne Roerkohl / Carola Halfmann / Navina Kleemann, Die Welt um 1500 I – Renaissance, Münster 2012, vgl. die Rezension von Arne Karsten, in: H-Soz-u-Kult, 18.11.2013, <hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-4-137> (26.02.2014).
http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-21248