H-Soz-Kult, 21.12.2012
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Thomas Fischer, Berufsfachschule Screen-Design, Hamburg
Historiker haben offenbar Schwierigkeiten, vom Frieden zu reden. Wie er entsteht, lässt sich konventionell beantworten: Die erschöpften Kriegsgegner beginnen zu verhandeln, schließen einen Vertrag, der möglichst auf Rache verzichtet, das Verhältnis normalisiert sich wieder, und auf längere Zeit hinweg kommt es nicht wieder zu einem Krieg. Hier ist der Geschichtsschreiber in seinem Element. Aber was ist das: Frieden? Laut den Aussagen dieser Publikation ist er entweder eine Utopie (also Gegenstand der Ideen- und Ideologiegeschichte) oder ein dauerhafter Zustand zwischenstaatlicher und innergesellschaftlicher Stabilität, so Kerstin von Lingen (Heidelberg), also gleichfalls eine Utopie, oder, in den Worten von Edgar Wolfrum (Heidelberg), dem wichtigsten Berater dieser Publikation, „ein umfassendes zivilisatorisches Konzept“, also wieder nur ein ideelles Konstrukt. Gab und gibt es folglich nirgends wirklichen Frieden? Muss selbst bei der Abwesenheit von Krieg immer das „Aber“ mitbedacht werden?
Nachdem im ersten Teil dieser DVD-Edition der Krieg im Vordergrund stand [1], geht es nun um ausgewählte Themen der neuzeitlichen Friedensgeschichte. Sieben Kurzfilme und zahlreiche Begleitmaterialien bereiten den komplexen Stoff für den Schulunterricht auf.
Der Eröffnungsfilm versucht sich an einer Definition von Frieden, mit dem besagten Ergebnis, und skizziert, wie sich die Frieden schaffenden Prozesse im Laufe der Neuzeit gewandelt und erschwert haben. Die übliche Vergessens-Klausel wurde zunehmend unerfüllbar, der von der Kriegspropaganda aufgestaute Hass konnte immer weniger abgebaut werden, es entstand der Begriff des Kriegsverbrechens, der bald nicht nur militärisch, sondern auch politisch und ökonomisch verstanden wurde. Hinzu kam in der Gegenwart eine oftmals chaotische, asymmetrische und auch terroristische Kriegführung.
Vier Filme schildern die Verhandlungen und Ergebnisse der wichtigsten Friedensverträge der deutschen Geschichte: Der mühsame Konferenzmarathon 1643–1648 in Münster und Osnabrück, immer wieder verzögert durch formale Streitereien, tagelange Postwege und Wendungen des Kriegsglücks. Am Ende bewirkte der Grundsatz „Vergeben und Vergessen“ eine brauchbare Friedensordnung in Mitteleuropa, „eine Stunde Null“, so Michael Kaiser (Köln); nur der Papst verweigerte seine Zustimmung. Das Medienspektakel von Wien 1814/15 mit mittelalterlicher Symbolik und Walzermusik; am Ende herrschte wieder das Gleichgewicht der fünf Großmächte, zeitweilig auch eine geistige „Friedhofsruhe“ (Wolfrum), Frieden jedoch nicht. Die Konferenz in Versailles 1918/19, eine Chance für Europa, die leider nicht genutzt wurde; Frankreichs Ministerpräsident Clemenceau verstand sie als „Stunde der Abrechnung“, das in Selbsttäuschung befangene Deutschland empörte sich über die „Kriegsschuldlüge“. Das Potsdamer Abkommen 1945, das kein Friedensvertrag sein wollte und dennoch eine neue Ordnung schuf, die mit ihren Grenzverschiebungen, dem Dezentralisierungsgrundsatz in Westdeutschland und vor allem der Idee eines internationalen Strafgerichtshofs – 1945 bis 1946 in Nürnberg, seit 1993 bzw. 2002 in Den Haag – bis heute nachwirkt.
Anschließend werden drei recht unterschiedliche Friedenskonzepte vorgestellt: Auf Kants Bestseller „Zum ewigen Frieden“ von 1795 ging die Idee einer dauerhaft tagenden Versammlung der Völker zurück, die es in einer „Welt von Republiken“ unmöglich machen sollte, noch Kriege zu legitimieren; im 20. Jahrhundert wurde dieser Gedanke verwirklicht, doch weder der Genfer Völkerbund noch die UNO waren stark genug, der Welt „Frieden und Glück“ zu bringen. Ausführlich referiert werden anschließend das umfassende Friedensmodell von Dieter Senghaas und die „Weltethos“-Initiative des Tübinger Theologen Hans Küng, die beide in den 1990er Jahren entstanden. Auch wenn Küng selbst ausführlich zu Wort kommt, um seine Grundgedanken zu schildern, bleibt es leider offen, ob sein Projekt irgendwelche praktischen Erfolge vorzuweisen hat.
Der letzte Kurzfilm fällt etwas aus dem Rahmen der anderen Beiträge. Mehrere Stationen der Friedensbewegung im 20. Jahrhundert werden geschildert: der Berliner Antikriegsaktivist Ernst Friedrich in den 1920er Jahren, die Widerstände gegen die Neugründung und atomare Bewaffnung der Bundeswehr in den 1950ern, die Vietnamkriegs-Proteste der 1960er, die Friedensbewegungen in Ost- und Westdeutschland in den 1980er Jahren. Erzählerisch eingerahmt wird dies vom Schicksal der Sadako Sasaki aus Hiroshima, die 1955 mit zwölf Jahren an Leukämie starb und deren aus Papier gefaltete Kraniche zu einem Symbol der internationalen Friedensbewegung geworden sind. Trotz dieser berührenden Geschichte fehlt der Aufzählung allerdings ein innerer Zusammenhang.
Ergänzt werden die jeweils 15 bis 22 Minuten langen Filme durch zahlreiche Unterrichtsmaterialien im flexiblen PDF-Format: Arbeitsblätter direkt zu den Filmen sowie mit ergänzenden Text- und Bildquellen zu allen genannten Themen, Zeitleisten, Kurzbiografien der wichtigsten Protagonisten und aller Interviewpartner, Methodenblätter zum Umgang mit Fotos, Karikaturen, Plakaten, politischen Reden, weiterhin Unterrichtsvorschläge, Literatur- und Internetlink-Listen. Insbesondere eignet sich die Edition für den bilingualen Geschichtsunterricht: Sämtliche Filme und Materialien liegen in englischer Sprache vor, außerdem gibt es zu jedem Kurzfilm ein Transkript mit Vokabelliste sowie spezielle Arbeitsblätter für Pre-, While- und Post-Viewing-Activities.
Insgesamt mutet diese Publikation aus der Reihe „Geschichte interaktiv bilingual“ etwas unvollendet an. Der größere Teil mit konventionell erzählten Informationsfilmen über wichtige Friedensschlüsse der Neuzeit ist solide gemacht und trotz der Kürze differenziert. Die Aufbereitung speziell für den bilingualen Unterricht ist vorbildlich. Die drei anderen Filme jedoch, die sich mit grundsätzlichen Fragen bzw. der sehr heterogenen Geschichte der Friedensbewegung beschäftigen, wirken eher ratlos. Hier bleibt das Friedensthema im Begrifflichen und Willkürlichen stecken, und anscheinend wird auch die Gegenwart des 21. Jahrhunderts nur leicht gestreift. Bei diesen Filmen bleibt, obwohl eine Menge Expertenwissen aufgefahren wird, am Ende eher eine Reihe unformulierter Fragen.
Anmerkung:
[1] Vgl. die Rezension des ersten Bandes: Anne Roerkohl, Carola Halfmann, Navina Kleemann, Gesa Kok, Längsschnitt Krieg und Frieden I – Krieg. Panorama War and Peace I – War, Münster 2011 (rezensiert von Thomas Fischer: Rezension zu: Roerkohl, Anne; Halfmann, Carola; Kleemann, Navina; Kok, Gesa, Längsschnitt Krieg und Frieden I – Krieg. Panorama War and Peace I – War. Münster 2011, in: H-Soz-u-Kult, 29.6.2012: hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-2-212 [02.11.2012]).