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H-Soz-Kult, 24.01.2011

Die DVD-ROM von 2009 ist der letzte Teil einer groß angelegten digitalen Dokumentation der deutschen Geschichte vom 19. Jahrhundert bis zur Realisierung der deutschen Wiedervereinigung in den Jahren 1989/90. Es handelt sich dabei, um dies vorweg zu sagen, insgesamt um eine Reihe, die sowohl aus fachdidaktischer wie unterrichtspraktischer Sicht heutigen Geschichtsunterricht in hohem Maße bereichern kann.

Der vorliegende Teil zur deutschen Wiedervereinigung, deren Dokumentation zur sogenannte Deutschen Frage sich ihrerseits in vier Teile gliedert, passt sich methodisch und didaktisch einerseits gut in das Selbstverständnis aller bisherigen Produktionen ein, geht in Manchem aber durchaus auch neue Wege: Die bewährte Aufteilung (Hauptfilm mit Nebenfilmen, Arbeitsblätter zur Erarbeitung, Festigung und Vertiefung des jeweiligen Filmmoduls, sogenannte Methodenkarten mit allgemeinen methodischen Hinweisen zu den wichtigsten Medien der Epoche wie Fotografien, Karikaturen, Karten, Plakaten, politischen Reden, Statistiken und Zeitungen) ist nun durch aussagekräftige Biografien wichtiger Akteure der Zeit erweitert: zum Beispiel Marianne Birthler, Ulrike Poppe, Barbara Timm oder Joachim Gauck für die regimekritische Seite Ostdeutschlands, Egon Krenz, Erich Mielke oder Günter Schabowski als DDR-Regierungsvertreter, Hans-Dietrich Genscher oder Helmut Kohl für die westdeutsche Seite. Zudem sind die einzelnen Filmausschnitte diesmal deutlich länger als bisher (ca. 13-20 statt 7-13 Minuten), was zu einer Gesamtlaufzeit von ca. 120 Minuten führt (Schwerpunkt hierbei: der Hauptfilm zum Einstieg in das nationale wie internationale Geschehen 1989/90, ca. 26 Minuten Länge). Lang genug, um die gerade für dieses Thema so wichtige Empathie zu fördern, die Kognitives mit Emotionalem bestmöglich harmonisieren will. Gleichzeitig wiederum nicht zu lang, um im Dienste moderner Filmanalyse in thematischen Unterrichtseinheiten sinnvoll und kritisch eingesetzt werden zu können. Maßgeblich dafür verantwortlich zeichnet Klaus Fieberg, der als Fachseminarleiter für Geschichte am Studienseminar Leverkusen, Dozent für Didaktik der Geschichte am Historischen Institut der RWTH Aachen, Mitglied im Redaktionsbeirat der Zeitschrift „Praxis Geschichte“, Mitherausgeber des Lehrwerks „Horizonte“ und Leiter der „AG Geschichte in medialer Vermittlung“ des Verbands der Geschichtslehrer Deutschlands in der Tat eine der schlagkräftigsten aktuellen Stimmen zu digitalen Medien im Geschichtsunterricht ist.

Die sechs thematischen Module jenseits des Hauptfilms („Das Ende des Ost-West-Konflikts“), der viel Bekanntes (etwa die inzwischen berühmten Äußerungen Genschers auf dem Balkon der Prager Botschaft oder Schabowskis Stammelinterview zur Reisefreiheit) mit interessantem neuen Perspektivmaterial vereint, sind im Allgemeinen sinnvoll gegliedert und strukturiert. Sie heißen: „Der Weg aus der Diktatur“ (Modul 1), „Wirtschaft“ (Modul 2), „Außenpolitik“ (Modul 3), „Die Staatssicherheit und ihre Akten“ (Modul 4), „Rechtsextremismus und Antisemitismus“ (Modul 5) und „Interviews mit Zeitzeugen und Experten“ (Modul 6). Besonders erwähnenswert sind hieraus zwei Module, die die ganze inhaltliche Bandbreite des Phänomens „Implosion und Untergang der DDR“ anschaulich vor Augen führen: Modul 4 zum Thema „Die Staatssicherheit und ihre Akten“ zeigt schön den Spannungsbogen zwischen den minutiös gesteuerten, kriminellen Aktionen der Stasi, den sensiblen bis aufgewühlten Reaktionen Betroffener nach Stürmung der Zentralen sowie generell die immens schwierige Aufarbeitung des gesamten Themenkomplexes, die bis heute zu Verletzungen und Verwerfungen führt – insofern ein getreues Spielbild aktueller innerdeutscher Diskurse in privatem wie öffentlichem Rahmen. Modul 5 beleuchtet in ebenso nüchternen wie beeindruckenden Sequenzen, wie stark verbreitet bzw. früh angelegt im sozialistisch-antifaschistischen Ostdeutschland rechtsextremistische Tendenzen waren, die man auf offizieller Propagandaebene gerne ausschließlich dem Klassenfeind zuschrieb. Beide Module liefern letztlich bezeichnende Einsichten in Inhalte wie Narrationen von Geschichte, die in ihrer komplexen Vernetzung viel mehr als in der Vergangenheit Thema von Geschichtsunterricht bzw. Politischer Bildung sein müssen. Hier wie auch in den übrigen Modulen führt ein jeweils abschließender „didaktisch-methodischer Kommentar“ besagte Fragestellungen sinnvoll zusammen, wobei vor allem die präzisen Einlassungen eines der besten Kenners deutscher Vergangenheitspolitik, Edgar Wolfrum, insbesondere die Sach- wie Werturteilsebene sprachlich angemessen (also nicht zu abgehoben) abdecken. Hier wird mancher Anhänger einer gewissen Ostalgie, die sich im öffentlichen Diskurs zäh hält, zweifelsohne nachdenklich werden.

Der ROM-Teil der DVD bietet für den Unterrichtsgebrauch insgesamt über 50 Arbeitsblätter, die im pdf-Format zumindest teilweise integrativ ausfüllbar sind, wobei man hier aktuellste technische Möglichkeiten durchaus noch besser und breiter hätte ausnutzen können. Angenehm ist aber, dass sehr viele hier enthaltene Dokumente, vor allem Karten und Diagramme, zudem in einem zentralen Ordner gesammelt und im jpg-Bildformat jederzeit flexibel nutzbar sind. Einen schnellen Zugriff auf die wichtigsten Epochendaten sowie auf aktuelle Veröffentlichungen zum Thema bieten zudem die separaten Sparten „Zeitleiste“ und „Literatur und Links“, die beide in wohltuender Weise nicht überfrachtet sind.

Die entscheidende unterrichtsdidaktische Frage, nämlich die der flexiblen Einsetzbarkeit der hier besprochenen DVD-ROM in der Praxis, ist generell sehr positiv zu beantworten: Aufgrund überlegter technischer Angebote, etwa der präzisen Ansteuerbarkeit einzelner Teilsequenzen innerhalb der Module, ist es jederzeit möglich inhaltliche Schwerpunkte zu setzen oder spontan und schnell auf das Eine oder Andere zurückzukommen, ohne dass endlose Längen das auswertende Unterrichtsgespräch unnötig unterbrechen bzw. lähmen müssen. Im Zuge aktueller Diskussionen um Kompetenzorientierung stellt das Ganze darüber hinaus ein schönes, durchaus innovatives Angebot dar, das – gerade aufgrund der zahlreichen inhaltlichen wie methodischen Querblicke – einem bewusst produktorientierten Geschichtsunterricht nur förderlich sein kann. Die aufwändig produzierte DVD-ROM geht damit einen gelungenen Mittelweg zwischen der in ähnlichen Formaten bisweilen zu beobachtenden Simplifizierung von Sachverhalten sowie Produktionen, die durch zu große Dichte an Dokumenten, Kommentaren und Verlinkungen eine selbsttätige Befassung durch Schülerinnen und Schüler geradewegs zum Abenteuer ohne Ausgang werden lassen. Man wird demnach an dieser DVD nicht leicht vorbeikommen.

Bert Freyberger, Dialektik der Geschichte, Universität Bamberg

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