Silke Gatermann, 07.12.2020
In der zweiten Jahreshälfte 2020 wurden die Jugendlichen in den sozialen Netzwerken konfrontiert mit Nachrichten und Kommentaren über einen Sprecherbeitrag einer jungen Deutschen, die ihren Einsatz auf einer Querdenkerdemonstration mit dem Widerstand Anne Franks verglichen hatte. Während die nachfolgende Entrüstungswelle über einen derartigen Vergleich in den Staatsmedien die Schülerinnen und Schüler sicher nur zum Teil erreicht hat, wirkten die Auseinandersetzungen auf Instagram sehr viel nachhaltiger. Auch die dort angeführten Links zum Nachrichtenmagazin für Kinder LOGO sorgten für Aufklärung.
Als Geschichtslehrkräfte müssen wir uns daher besonders fragen, was wir im Unterricht besser machen können, so dass einerseits Wissen und Empathie gleichermaßen entwickelt werden, andererseits aber auch thematisiert wird, welche Vergleiche möglich sind und welche nicht.
Viele Schulen in Deutschland haben in den Geschichtsunterricht des Jahrgangs 9 Projektvorhaben und Besuche außerschulischer Lernorte eingebunden, die eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust ermöglichen sollen.
Besuche in Konzentrationslagern und Einladungen von Zeitzeugen in die Schulen gehören sicher zu den schulischen Projektvorhaben, die Schülerinnen und Schüler am nachhaltigsten beeindrucken. Wo immer möglich, werden regelmäßig Stolpersteine gesäubert und Gedenkveranstaltungen im öffentlichen Raum von Schülerinnen und Schülern vorbereitet und durchgeführt. Wo immer möglich, werden Denkmäler und Gedenkstätten besucht und so im Gedächtnis verankert.
Aber - so auch der Untertitel der vorliegenden Folge 35: Erinnern reicht nicht.
Die Module dieser Folge 35 zeichnet aus, dass sie einerseits die möglichen Formen der Erinnerungskultur an prägnanten Beispielen aufzeigen, andererseits aber auch mehrfach deutlich zum aktiven Handeln auffordern. Die Folge 35 sollte im Lehrmittelbestand jeder Schule sein! Warum, wird hier erläutert.
Die vier Module sind für den Einsatz ab Jahrgang 9 konzipiert und sehr gut geeignet für einen schülerorientierten Unterricht, der zur Empathie befähigen soll. In Jahrgang 9 sollte dieses Material nach den Unterrichtseinheiten zum Nationalsozialismus eingesetzt werden. Die drei Folgen Geschichte interaktiv4, 5 und 6 bieten auch dafür gut aufbereitetes Unterrichtsmaterial.
Das Überblicksmodul Geschichte im Zeitstrahl vermittelt in drei Kapiteln die NS-Aufarbeitung von 1945 bis heute. Das Modul umfasst insgesamt 39:58 Minuten, wobei dem Zeitraum der deutschen Teilung besondere Beachtung zukommt. Die unterschiedliche Haltung auf west- und ostdeutscher Seite zum Nationalsozialismus/ Faschismus und die daraus folgende unterschiedlich aktive Aufarbeitung der NS-Geschichte wird eindrücklich dargestellt anhand der Gedenkstätten der ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen und Buchenwald. Wichtige Reden zum Thema der deutschen Erinnerungskultur werden auszugsweise in Bild und Ton genauso berücksichtigt wie die NS-Prozesse dieses Zeitraumes. Im didaktischen Material werden die Links zu den Original(ton)dokumenten aufgeführt, so dass bei Bedarf im Oberstufenunterricht auch die gesamte Rede behandelt werden kann.
Das dritte Kapitel dieses Moduls bezieht den noch sehr aktuellen Fall des Angriffes auf die Synagoge in Halle ein, so dass deutlich wird, dass dieses Thema längst nicht nur "Geschichte" ist.
Anders als in den bisherigen Folgen wird das erste Überblicksmodul (Geschichte im Zeitstrahl) von drei Modulen Geschichte im Film ergänzt.
Tatsachen, Beweise, Zeitzeugen sind die jeweiligen Untertitel der drei Module, die sich schwerpunktmäßig mit dem KZ Bergen-Belsen beschäftigen.
Das Modul 3 beleuchtet die Entwicklung des Kriegsgefangenenlagers zum Konzentrationslager, macht mit anschaulichem Kartenmaterial das Ausmaß des Lagers deutlich und schließt mit zwei Kapiteln zur Entwicklung der Gedenkstätte seit 1945. Im didaktischen Material findet man den Link zur WEB-APP, den Schülerinnen und Schüler aufrufen können, um sich virtuell in der Gedenkstätte zu orientieren.
Auch in diesem Modul kommt der Leiter der Gedenkstätte als Experte zu Wort.
In Modul 2 und 4 steht die Zeitzeugin Yvonne Koch (geb. Polláková) im Mittelpunkt. In Modul 2 (26:15 min) wird das Leben der gebürtigen Slowakin in drei Kapiteln in Form einer knappen Dokumentation vorgestellt. Eingestreut finden sich bereits Interviewaussagen der Zeitzeugin, ein Off-Kommentar ordnet die Aussagen und Bilddokumente in den Kontext ein. Diese Technik wird auch in Modul 4 eingesetzt. Dort wird der gefilmte Vortrag der Zeitzeugin in einer Schule pointiert geschnitten (19:53 min) und kommentiert. Das zweite Kapitel des Moduls 4 zeigt Ausschnitte aus der anschließenden Fragerunde mit den Schülerinnen und Schülern (5:12 min).
Das didaktische Material regt zu einem Vergleich der beiden Darstellungsformen Dokumentation und Zeitzeugenvortrag an. Diese Aufgabe wird hier für die Oberstufe empfohlen, im Unterricht zeigten aber auch Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Jahrgangsstufe, dass sie diese Anforderungen bereits erfüllen können.
Diese Module sind für den schulischen Einsatz im Jahr 2020 besonders wertvoll, da aufgrund der Pandemie-Beschränkungen die üblichen Formate der Zeitzeugenbesuche in den Schulen nicht durchgeführt werden können.
Darüberhinaus ist besonders der in Kapitel 2 dargestellte Austausch der Zeitzeugin mit den Schülerinnen und Schülern prägend für jugendliche Zuschauer, da Yvonne Koch mehrfach betont, es gehe ihr nicht um Rache. Sie habe ihren Peinigern vergeben, denn damit hätten diese ihre Macht über sie verloren. Schuldzuweisungen führten wieder zu Krieg. Das ist sicher eine Haltung, über die Schülerinnen und Schüler sprechen sollten, auch im Hinblick auf die Frage, wie man heute mit rassistischen Angriffen umgehen sollte.
Der beigefügte Flyer bietet Erläuterungen zu den Filmformaten sowie eine detaillierte Aufstellung der Module und Sequenzen mit genauen Zeitangaben. Eine große Hilfe für die Unterrichtsplanung!
Silke Gatermann, Lehrerin für Geschichte/History, PGW/PSE, Englisch und Deutsch am Gymnasium Ohmoor, Hamburg