Geschichte lernen, Heft 120/2007
[...] DVD zur NS-Ideologie
Die DVD "Der Nationalsozialismus I. Ideologie und Menschenbild" bietet den in sich verständlichen Auftakt einer insgesamt dreiteiligen Dokumentation zum Thema "Nationalsozialismus in Deutschland", die als solche wiederum in der schon oben vorgestellten Reihe "geschichte interaktiv" (Folgen Nr. 4-6) erscheinen wird. Entsprechend dem Konzept der Reihe bietet auch diese DVD einen Hauptfilm (20 Min.), mehrere Kurzfilme (sechs Stück, 10-13 Min.) und einen ergänzenden DVD-ROM-Teil, die aufeinander aufbauen. Der Hauptfilm "Faschismus in Europa" zeigt Ursprünge des Faschismus in Italien, des deutschen Nationalsozialismus, des spanischen Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs, die Kurzfilme beleuchten Themen wie "Nationalsozialistische Ideologie", "Frauen", Jugend" oder "Kunst und Kultur" und der DVD-ROM-Teil stellt hierzu weiteres Material und didaktisch-methodische Anregungen zur Verfügung. Einen zusätzlichen Aspekt bietet der sechste Kurzfilm mit Ausschnitten aus zwei zeitgenössischen Spielfilmen ("Jud Süß" und "Hitlerjunge Quex") sowie Textquellen in Form einer Lesung. In den drei Teilen finden sich abermals zahlreiche Quellen (Karikaturen, Filmmaterial, Fotos, Plakate, Textquellen), Interviews mit Historikern und Zeitzeugen, eingespielte Lieder sowie Karten und Diagramme. Die Filme wurden (wie die der Vorgänger-DVDs) zu großen Teilen an Originalschauplätzen gedreht.
Erneut überzeugen die Filme durch die korrekte Darstellung historischer Sachverhalte, die gekonnte Einarbeitung verschiedenster Quellen, den kritisches Interesse erzeugenden Wechsel zwischen wissenschaftlich-reflektierender und hautnahnacherzählender Perspektive sowie durch den Bezug zu konkreten Einzelschicksalen (wie beispielsweise zur Bildhauerin Käthe Kollwitz).
Gleichwohl ist die Liste kritischer Punkte hier länger: Durch schnelle Einstiege wirken die Filme mitunter etwas lieblos gemacht, starke Sprünge (so im Hauptfilm vom Jahr 1923 zum Jahr 1933 und wiederum zum Jahr 1937) lassen zahlreiche inhaltliche Fragen offen, nicht erklärte Begriffe werden häufiger genutzt ("Volksfrontregierung", "Jungdeutsche Orden" u.a.), manche Ereignisse bleiben unverbunden stehen, die durchaus wichtige Größe mancher Gruppen bleibt numinös ("Waren die Edelweißpiraten jetzt eine echte Massenbewegung oder nicht?") und einige Kurzfilme gehen mitunter stark von ihrem eigentlichen Thema ab (so wird im Kurzfilm "Jugend" eher das Thema "Judenverfolgung" behandelt, das wiederum im Blick auf das Gesamtthema der DVD als Gegenstand eines eigenen Kurzfilms empfindlich fehlt). Zusätzlich wären im Hauptfilm mehr verbindende Karten, Diagramme, Zeitleisten usw. zu wünschen gewesen: Die dortige Darstellung des "Faschismus in Europa" bleibt so eher ein Mosaik unterschiedlichster Aspekte, die einigermaßen isoliert nebeneinander stehen bleiben.
Der separate DVD-ROM-Teil vermag diesen eher kritischen Eindruck jedoch wieder etwas zu revidieren. Analog zu DVD "Das deutsche Kaiserreich" wird auch hier in einer klaren Struktur vielfältiges weiterführendes und hilfreiches Material angeboten. Wieder überzeugen die Biographien (u. a. von Franco, Hitler, Stalin oder Käthe Kollwitz), die detaillierte Zeitleiste, die nützlichen Arbeitsblätter, zeitgenössische Liedertexte oder das ausführliche Link- und Literaturverzeichnis. Auch aktuell umstrittene Texte (etwa ein Auszug aus Günter Grass' Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel") haben hier Eingang gefunden; sie können hervorragend als Diskussionsgrundlage genutzt werden.
Immer noch nicht wirklich "interaktiv"?
Die beiden neuesten DVDs der Reihe" bieten sehenswerte Filme samt Begleitmaterialien zu relevanten Abschnitten deutscher Geschichte. Aber wird hier Geschichte wirklich "interaktiv" dargeboten? Die Frage ist berechtigt, beschränken sich doch die DVDs letztlich auf das Zeigen von Filmen und gehen damit über das Vermögen eines VHS-Videos samt Begleithandbuch kaum hinaus. Da derart die vielfältigen Möglichkeiten der neuen Medien DVD und CD-ROM noch weitgehend unerschlossen bleiben (Virtual-Reality-Simulationen, "interaktive" Zeitleisten und Quellensammlungen, Verfügbarkeit sehr großer Datenmengen, gezielte Suche in derartigen Datenmengen u.a.). bieten beide DVDs damit zwar eine Reihe anspruchsvoller und zum Teil sehr ansprechender Filme, werden jedoch einer "interaktiven" Geschichtsdarstellung im Sinne der neuen medialen Möglichkeiten (noch) nicht gerecht.
Thomas Heller